Die großen Steine

Wie aus dem Nichts heraus tauchen sie auf. Umgeben vom dunklen Teutoburger Wald, der sie wie sein Heiligtum zu beschützen scheint. Die kantigen Felsen prägen die Landschaft, und sie sind Relikte aus der Vorzeit. Anziehend seit eh und je, haben die Externsteine gerade in der heutigen Zeit eine besondere Bedeutung. Sie sind nicht nur ein beliebtes Besichtigungsziel für circa 650.000 Touristen und Urlauber jährlich, sondern auch Kultstätte mehrerer Generationen.

Die insgesamt 13 Sandsteinfelsen sind während der Kreidezeit entstanden. Bizarre Felsformationen erreichen eine Höhe von bis zu 38 Metern. Ihre Geschichte vollzieht sich in einem Wandel der Zeit. Ursprünglich, so vermuten Wissenschaftler, waren sie ein heidnisches Heiligtum, ehe die Externsteine im Jahre 1093 n.Chr. vom Kloster Abdinghof in Paderborn erworben und zu einer christlichen Anlage gestaltet wurden. Ein Doppelrelief, welches die Kreuzabnahme Jesu zeigt, ist heute noch zu betrachten.

Die Externsteine werden jedoch nicht nur kirchlich genutzt. Auch Grafen und Fürsten residieren in Schlössern nahe dieser Schutz bietenden Felskette. Aus Angst, dass sich eine Voraussage des Teufels erfüllen könnte, lässt Fürstin Pauline 1813 den sogenannten „Wackelstein“ befestigen, damit er ihr nicht auf den Kopf falle.

Was genau ist es, das die Menschen immer wieder an diesen mystischen Ort treibt?

Mit der Dunkelheit finden sich alljährlich Gestalten an den Externsteinen ein, die Sonnenwenden und die traditionelle Walpurgisnacht feiern. Sie kommen an dem „größten Kraftort Europas“ zusammen, und wer hier einkehre, tue dies „aus freiem Herzen“, so eine Weltenbummlerin mittleren Alters, die sich als freie Heilerin bezeichnet. Sie fühlt sich von dieser Naturerscheinung angezogen. „Wo positive Energieströme fließen, fühlt man sich wohl.“ Ihrer Ansicht nach haben insbesondere Hexen das Talent, Naturerscheinungen jeglicher Art intensiv wahrnehmen zu können. Die Externsteine werden ebenfalls von Satanisten besucht, was mit der sagenumwobenen Erscheinung des Teufels oder mit der Farbe Schwarz an sich zu tun haben könnte, die bekanntlich eine anziehende Wirkung hat.

Während der nationalsozialistischen Herrschaft bilden die Externsteine ein „Spannungsfeld der nationalsozialistischen Germanenkunde“, liest man in der Sammlung des Nordrhein- Westfälischen Staatsarchivs Detmold. Zwischen beiden Weltkriegen (1918 – 1939) entwickelt sich der sogenannte „Externsteineenthusiasmus“, der hauptsächlich durch den selbst ernannten Wissenschaftler Teudt im Auftrag des SS-Oberen Heinrich Himmler hervorgerufen wird. Er propagiert sie als „Entdeckung des germanischen Zentralheiligtums“ und sorgt außerdem für einen Profit der Kirche. Diese nutzt die Anziehungskraft dieses Ortes aus, um Predigten abzuhalten und Gläubige anzulocken.

„Mit Rechtsextremismus und nationalsozialistisch gesinnten Besuchern haben wir zum Glück keine Probleme.“, verkündet der 41-jährige Rainer Holste, Beamter des Ordnungsamtes Horn. Er ist mitverantwortlich für die Organisation der Sonnenwenden und der Walpurgisnacht.

„Das Problem ist, dass es eine Veranstaltung ohne Veranstalter ist.“ Niemand kann für entstehenden Müll oder für die Gewährleistung von Sicherheit und sanitären Anlagen verantwortlich gemacht werden. Die Zusammenarbeit mit dem Straßenverkehrsamt und der Polizei Horn-Bad Meinberg ist unumgänglich, da sich Kranken- oder Feuerwehrwagen kaum einen Weg bahnen könnten, um durch die große Anzahl von parkenden Autos zu kommen. Die Polizei steht bereit, um Teilnehmer eventuell vor sich selbst zu schützen und Selbstmorde gegebenenfalls vermeiden zu können, die in den vergangenen Jahren wiederholt vorgekommen sind.

Zwei Besucherinnen aus der nahegelegenen Stadt Detmold zeigen sich fasziniert von der Verwandlung eines Naturschutzgebietes in ein mittelalterliches Zeltlager. „Dort campen circa 600 Druiden, Hexen, Esoteriker, Anhänger der schwarzen Szene und Menschen, die wie „echte“ Germanen aussehen, friedlich nebeneinander. Es ist eine Reise der Sinne, die dich in eine andere Welt entführt. Du riechst den süßlichen Duft der Räucherstäbchen, der sich mit dem hölzernen Geruch der Lagerfeuer vermischt. Dumpfe Trommelschläge hallen durch die Nacht. Auf einem der Felsen siehst du wie zwei Männer Feuer spucken. Es ist beeindruckend, dass Menschen die sich zuvor noch nie begegnet sind zusammenfinden und eine unglaubliche Harmonie ausstrahlen, die sich selbst auf die Tiere überträgt. Ein Dackel kann sorglos eine Bulldogge beschnuppern, ohne dabei um sein Leben fürchten zu müssen“, schwärmen sie. In diesen Nächten vereint der Kult der Externsteine eine Vielzahl verschiedener Menschen. Dieses Lebensgefühl wird teilweise in Form von Runen festgehalten, die in die Felsen eingraviert werden.

Rainer Holste steht diesem „Naturspektakel“ positiv gegenüber. „Es ist ein ganz nettes Treiben da oben; die meisten Teilnehmer sind harmlos. Man könnte sie als liebenswerte Spinner bezeichnen.“ „Jeder soll seine Individualität frei ausleben und an einem Naturschauspiel teilhaben und es erleben können“, fordert jene Weltenbummlerin, die 2011 nicht mehr zu ihren Äußerungen stehen wird. Zum Zeitpunkt dieser Reportage spricht sie sich allerdings strikt gegen jeglichen „Ordnungszwang“ aus und sieht die Externsteine in Momenten der Ruhe als ihr „Wohnzimmer“ an. „Die Kraft der Steine“ zu spüren, „die Halt geben kann“, ist für sie ein ganz besonderes Erlebnis. Später wird sie verlangen, dass diese Reportage aus dem Netz gelöscht wird.

Obwohl die Externsteine und das dazugehörige Gelände unter Naturschutz stehen und dem Landesverband Lippe gehören, sind das Ordnungsamt sowie die Polizei sehr tolerant gegenüber allen, die an Veranstaltungen teilnehmen. „Manche holen sich sogar Säcke von uns und sammeln ihren Müll selber auf“, so Rainer Holste.

Ob jung oder alt, die Horner Bürger erfreuen sich ebenfalls am Tag der Walpurgisnacht oder Sommersonnenwende. Sie alle sind Zeugen, wenn die Sonne für wenige Minuten durch das Sonnenloch scheint, das sich in einer der Felswände befindet. Genau auf diesen Moment ausgerichtet, schlugen die Christen in früherer Zeit ein Loch in das Gestein, welches heute Neugierde sowie Faszination in den Gesichtern widerspiegelt. Um dieses Event miterleben zu können, nehmen manche sogar einen langen Anreiseweg in Kauf.

Nina Wendt, Jenny Scheiblich, Grabbe-Gymnasium Detmold