Reise ins sexuelle Glück

Goethes Liebesleben in Italien    

Von Björn Braun

 

Nachdem Goethe beruflich und privat frustriert war, da ihn politische Amtspflichten von seinen dichterischen Vorhaben abhielten und sich die Beziehung mit Charlotte von Stein kompliziert gestaltete, „flüchtete“ Goethe 1786 nach Italien. In Rom, wo er sich zum ersten und einzigen Mal richtig heimisch fühlte, suchte er das Erlebnis der römischen Antike und fand nicht nur Kultur sondern auch Erotik; er fand „Faustine“, eine junge Römerin, mit der er ein unkompliziertes erotisches Verhältnis hatte.

Die Unkompliziertheit und die von gesellschaftlichen Zwängen ungestörte sexuelle Erfüllung in seiner Beziehung zu "Faustine" erscheinen Goethe als Sinnbild einer "unschuldigen" Antike, in der Sinnenfreude noch kein Tabu war. Die Begegnung mit ihr soll das erste wirklich erotische Ereignis im Leben Goethes gewesen sein. Er empfand wohl erstmals eine Beziehung, in der Sinnliches und Seelisches sich harmonisch vereinten. Eine Harmonie, die auch für seine neue, 'klassische' Ästhetik wegweisend sein sollte. 

 

Die römischen Elegien und die Antike

Später schrieb er in Weimar die römischen Elegien 1 – 24, die den ursprünglichen  Namen  „Erotica Romana“  hatten,  von  denen  er  die letzten vier  nicht  veröffentlichte. In den ersten vier Elegien, vor seiner Begegnung  mit  „Faustina“, heute  weiß man, dass sie Maddalena  Riggi  hieß,  hat er  hauptsächlich  über  die  Architektur und Kunst der Renaissance und des Barock geschrieben, für die er sich weniger begeistern konnte. Doch als er dann „Faustina“ kennen lernte, entführt die Anwesenheit der Geliebten ab der fünften Elegie den Dichter in eine lebendig und gegenwärtig erlebte Antike.

Von nun an begann er die Antike mit einer besonderen Ästhetik zu beschreiben. Er wurde von Liebesgefühlen überwältigt, die er nun bewusst in seine Elegien mit einbaute. Besonders wenn er bei seiner Geliebten war, entsprang vor seinem geistigen Auge die Antike Götterwelt und der Genius Roms. Aber Goethe erzählt in seinen Reiseberichten nicht ein einziges Mal von seiner Liebe. Erst am Ende seines Buches erwähnt er eine Episode mit einer schönen, bereits verlobten Mailänderin „Faustina“. Keine Nachricht, von vagen Spekulationen abgesehen, ist von der wahren Geliebten Goethes überliefert. Zumindest war es wohl mehr als nur ein galantes Abenteuer. Goethe-Kenner sind sich einig, dass er erst hier in Rom, knapp vierzigjährig, die körperliche Liebe entdeckt hat.

Gerade diese sexuelle Liebe hat er in seinen vier unveröffentlichten Elegien mit einer sehr großen Freizügigkeit beschrieben. Hier ein Auszug aus der 21ten Elegie:

„Wir wechseln sichere Küsse, Atem und Leben getrost saugen und flößen wir ein. So erfreuen wir uns der langen Nächte, wir lauschen, Busen an Busen gedrängt, Stürmen und Regen und Guß.“

Unüberlesbar erkennt man die ungezügelte Beschreibung eines sexuellen Erlebnisses.

Im Dossier Goethe findet sich folgendes:

Donna Faustina kümmerte sich um Goethe. Ich frage mich bis heute, was ihm an Faustina mehr gefiel, ihr lustiger Akzent, mit dem sie "Dottore Moeller aus Leipzick" begrüßte, oder ihre Erscheinung - jedenfalls war er vom ersten Augenblick an hingerissen. Willig ließ er sich gefallen, dass sie seinen Rock gegen eine venezianische Velada in schönstem Tiepolorot tauschte. Er protestierte nicht einmal, als sie ihm die neue Perücke aufsetzte, um seine Silhouette unkenntlich zu machen. Faustina selbst war sorgfältig gepudert und passend angezogen, weit vornehmer, als es ihrer sonst eher zwanglosen Art entsprach.  Nachdem sie Goethe als venezianischen Kavalier verkleidet hatte, verließen die beiden wie ein Paar die Werkstatt Messer Elefantes. Frech über die offene Straße führte Faustina ihn zum Treffpunkt.