Urknall, Sterne, schwarze Löcher

Sofies Welt

Die Romanfigur Sofie aus Jostein Gaarders Buch "Sofies Welt" ist wie geschaffen für einen Kurs zur Geschichte der Philosophie. Ihre Eigenschaften und Lebensumstände machen sie sehr empfänglich für einen derartigen Lehrgang. Schon der Name Sofie, der in anderer Schreibweise (Sophie) Bestandteil des Wortes Philosophie ist, gibt dem Leser einen Hinweis..

Pubertät

Sofie ist ein 15-jähriges Mädchen, das am Stadtrand von Oslo wohnt. Dass sie 15 Jahre alt ist, scheint insofern von Bedeutung, weil man sich in diesem Alter an der Schwelle zum Erwachsenwerden befindet.

In Gaarders Roman heißt es, dass Philosophie aus der Verwunderung über das Alltägliche entsteht. Je älter man werde, desto mehr habe man sich an die Welt gewöhnt und verliere dabei zusehends die Fähigkeit, sich zu wundern. Sophie steht genau auf der Stufe, wo sie sich noch nicht völlig an die Welt gewöhnt hat. Der geheimnisvolle Philosophielehrer des Romans will sie vor dem Zustand der "Normalisierung" bewahren.

Gaarder hat die Hauptfigur wahrscheinlich auch mit Spekulation auf seine Leser konstruiert: Sie sind mehrheitlich in Sofies Alter und identifizieren sich mit dem Mädchen.

 

Sozialer Hintergrund

Sofie stammt aus einer ganz normalen mittelständischen Familie. Philosophie gehört zum Alltag und erscheint nicht als Steckenpferd einer exklusiv eingestellten geistigen Elite.

Das Mädchen ist sehr einsam. Ihre Mutter arbeitet den ganzen Tag über und der Vater ist nur wenige Wochen im Jahr daheim, weil er als Kapitän zur See fährt. Als Ersatz für fehlendes Familienleben verfügt Sofie über eine Fülle von Haustieren.

Weil Sofie offensichtlich unter der Einsamkeit und an Langeweile leidet, fruchtet der Philosophiekurs bei ihr.

Es war wohl zu allen Zeiten so, dass der Mensch philosophiert hat, wenn er Zeit dazu hatte. Zu Beginn der so genannten "abendländischen Philosophie", etwa 600 v. Chr. im alten Griechenland, lebten die Menschen in den kulturellen Zentren in relativem Wohlstand. Sie hatten Sklaven, die notwendige Arbeit verrichteten, und so konnten sie es sich leisten, philosophischen Fragestellungen nachzugehen.

 

Sofie ist ihre Leidenschaft allerdings peinlich. Sie versucht sie vor der Mutter zu verbergen; lieber setzt sie sich dem falschen Verdacht aus, heimlich verliebt zu sein. Überhaupt verkennt die Mutter die Lage völlig: Eher vermutet sie, dass die Tochter Drogen nimmt, als dass sie ernsthaft in Erwägung zieht, dass ihre Tochter vom "Grübelvirus" befallen sein könnte.

Tatsächlich steckt in der Leidenschaft zur Nachdenklichkeit auch eine soziale Gefahr. Sofie streitet sich mit ihrer Freundin, da sie es vorzieht, über philosophische Briefe nachzudenken statt das zu tun, was Teenager in diesem Alter eben so zu tun pflegen.

Die Höhle

Der Garten ist für Sofie ein wichtiger Rückzugsort. Dort, in der versteckten "Höhle", kann sie in Ruhe und ungestört die philosophischen Briefe lesen, ohne Angst haben zu müssen, entdeckt zu werden. Ein ruhiger Platz, am Waldrand gelegen, nahe zur Natur. Ideal also, um über schwierige Projekte der Philosophen nachzusinnen, da einen nichts ablenkt.

Jostein Gaarder hat die Romanfigur Sofie mit größter Sorgfalt konstruiert. Jede ihrer Charaktereigenschaften und Lebensbedingungen ist bewusst ausgewählt, um etwas Bestimmtes zu verdeutlichen. Unterm Strich kommt dabei heraus, dass sich der Leser sehr gut in die Hauptfigur hineinversetzen kann.

Den geheimnisvollen Philosophielehrer kann man mit Jostein Gaarder selbst gleichsetzen. Beide haben dieselbe Intention, nämlich Philosophie unters Volk zu bringen. Beide wollen erreichen, dass der Mensch mit philosophischem Wissen bewusster lebt. Philosophie soll kein Thema sein, mit dem sich nur Uniprofessoren mit langen weißen Bärten befassen. Schließlich hat jeder, wenn alle seine Grundbedürfnisse erfüllt sind, das Verlangen, philosophische Fragen zu stellen und Antworten zu finden.

 

Bernhard Schlevogt