Analyse und Interpretation von Kafkas „Die Heimkehr“
Von Benedikt Bühner
Franz Kafka (1883 – 1924), bedeutender Vertreter des Expressionismus, schrieb seine Parabel „Heimkehr“ im Jahr 1920.
Der Text lässt sich in drei Abschnitte
unterteilen. Im ersten beschreibt der Sohn den Hof, wie er aussieht und auf ihn
wirkt.
Im zweiten zweifelt er daran, dass er zu Hause noch willkommen ist. Im dritten
erkennt er schließlich, dass er in diesem Haus nicht willkommen ist und er denkt
an seine Kindheit zurück. Der vierte Teil, der eigentlich nun folgen müsste, um
uns Aufschluss zu geben, ob der Sohn den letzten Schritt durch die Tür wagt oder
nicht, fehlt. Das Ende bleibt offen.
Im Text geht es um einen Sohn, der nach Hause zurückkehrt. Besonders
eindrücklich schildert Kafka dessen Gefühle. Der Hof wirkt
fremd und unheimlich auf ihn, obwohl er einst sein Zuhause gewesen ist. Alles
ist unordentlich und es scheint, als sei der Hof verwahrlost, als hätte sich
lange niemand mehr um Ordnung, Sauberkeit und Disziplin gekümmert. Der Sohn fasst
nicht den Mut, die Küchentüre zu öffnen oder auch nur anzuklopfen; er bleibt im
Flur stehen und kann sich nicht entscheiden, was er tun soll. Er hat Angst und
will sich der Situation nicht stellen, weil er nicht weiß, wie sein Vater
reagiert, wenn er wieder nach Hause kommen wollte, und ob er ihm überhaupt
erlauben würde zu bleiben. Das Ende der Parabel bleibt offen. Kafka sagt uns
nicht, ob der Sohn sich seinen Ängsten stellt oder ob er vor ihnen davonläuft.
Die ganze Geschichte dreht sich um den Sohn. Er ist durchgehend Erzähler und beschreibt seine subjektiven Gefühle und Gedanken. Als Leser wissen wir nicht, wie lange der Sohn von zu Hause weg war, oder warum er gegangen ist; einzig, dass sich auf dem Hof vieles verändert hat, erfahren wir und dass diese Veränderungen nicht zum Besseren geführt haben. Einige Dinge auf dem Hof erkennt er nicht einmal oder glaubt, sie vergessen zu haben. Über den Vater, die zweite Person im Text, erfährt man nur Dinge aus der Sicht des Sohnes. Er wird sehr autoritär und dominant dargestellt, er verdeckt sozusagen den Rest der Familie. Es ist der Hof des Vaters, das Haus des Vaters. Die Familie, seine Mutter und eventuelle Geschwister werden nicht erwähnt, treten in den Schatten des Vaters und werden von der negativen Dominanz des Vaters überstrahlt. Insgesamt scheint der Sohn ein gestörtes Verhältnis zu seinem Vater gehabt zu haben.
Beim Text handelt es sich um eine Parabel. Die Aussage einer Parabel ist für den Leser nicht gleich zu erkennen. Parabeln sprechen durch Bilder und indirekte Andeutungen und müssen erst durch Überlegen und Interpretation entschlüsselt werden, damit ihr wahrer Sinn klar wird. Kafkas Parabel ist eine Art Rätsel, das den Leser zum Nachdenken anregt, was allerdings seltsam erscheint, wenn man weiß, das Kafka nie wollte, das seine Werke gelesen werden und ein Leser somit nicht vorgesehen war und auch nicht angesprochen werden musste und sollte.
Ähnlichkeiten zu dieser Parabel weist das „Gleichnis vom verlorenen Sohn“ auf, in dem auch die Rückkehr eines Kindes beschrieben wird. Die biblische Version der „Heimkehr“ ist allerdings wesentlich eindeutiger. Der Leser weiß, warum der Sohn von zu Hause fort gegangen ist. Er weiß, warum er zurückkehrt und auch das Ende wird nicht verschwiegen. Kafkas „Heimkehr“ ist bedrückend und auch das Gleichnis in der Bibel hat am Anfang einen ungewissen Ausgang, auch dieser Sohn zweifelt. Am Ende aber wird er von seinem Vater in die Arme geschlossen. Jesus Geschichte geht gut aus und verbreitet eine positive Botschaft, während Kafkas eine bedrückende depressive Stimmung verursacht und einen selbst am Leben zweifeln lässt.
Der Erzählform ist die Ich-Perspektive. Der Erzähler ist mitten im Geschehen und auch selbst daran beteiligt. Er gibt seine subjektive Sicht der Dinge, seine Gefühle und seine Gedanken wieder.
Kafka wechselt in seiner Parabel zwischen zwei Erzählweisen. Zuerst beschreibt er die allgemeine Situation, die für jeden, der den Hof sieht, offensichtlich ist, dann aber geht er in einen inneren Monolog über, der von den Emotionen und Gefühlen des Erzählers handelt.
Kafkas Text strotzt vor Adjektiven. Sie vermitteln dem Leser eine traurige Stimmung und lassen den Text düster wirken. Würde man die Geschichte malen, dann wäre das Bild grau und trist und die Melancholie würde dem Betrachter sofort ins Auge springen und ihm im Herzen wehtun.
Kafkas Figur versperrt sich in dieser Parabel selbst den Eintritt in eine angenehmere Zukunft. Der Hof, den der Sohn vor sich hat, scheint wie ein bedrohlicher Schauplatz, den es zu überwinden gilt. Eine Pfütze versperrt ihm den Weg und alles ist unaufgeräumt und verwahrlost. Der Hof scheint wie das Leben des Sohnes zu sein, ohne festen Halt, ohne Ordnung und Bezug. Die einzige Bezugsperson, die der Sohn hat, ist der Vater, der hinter der Küchentür ist. Der Sohn glaubt, nicht willkommen zu sein, obwohl es das Haus seiner Eltern ist, glaubt er sich nicht zu Hause fühlen zu können.
Ich denke, obwohl sein Vater so autoritär scheint, ist es gerade das, wonach er sich sehnt, eine Person, die Ordnung in sein Leben bringt, an die er sich anlehnen kann. Doch Zweifel nagen an ihm, ob er hinter der Tür wirklich das finden kann, was er sucht. Durch den Kamin steigt Rauch auf, ein Zeichen dafür, dass es im Inneren warm und gemütlich ist, aber der Sohn denkt, dass er dort auch fremd sein könnte. Er sieht sich nicht mehr als Teil dieser Gemeinschaft und hat Angst die Tür zu öffnen und sein Glück zu versuchen. Die Tür steht für die Chance auf eine bessere Zukunft, für eine Flucht aus der düsteren Unordnung, aber der Erzähler steht sich selbst im Weg. Er sieht seine Fehler und glaubt, dass er es nicht wert ist, die heile Welt hinter der Tür zu stören.
Die Katze, die er auf dem Hof sieht, scheint wie ein Unglücksbote. Er erinnert sich zurück an seine Kindheit, wie unbeschwert sein Leben war und gleichzeitig wird ihm klar, dass das nicht mehr so ist. Mit dem leichten Uhrenschlag, den er aus seiner Kindheit zu hören glaubt, ist die Möglichkeit des Eintretens wahrscheinlich endgültig verstrichen. Für den Sohn ist das Leben hoffnungs- und zwecklos, er glaubt nicht, seiner Familie etwas nützen zu können.
Kafkas Parabel ist das Gegenteil des biblischen Gleichnisses, der verlorene Sohn kehrt bei ihm zurück und wird nicht schon vor dem Hof empfangen. Er ist seinen Selbstzweifeln überlassen. Wie Autobiographen berichten, hatte Kafka selbst ein gestörtes Verhältnis zu seinem Vater. Dadurch, dass er das Ende der Parabel offen lässt, zeigt sich vermutlich, dass er selbst keine Antwort auf die Probleme des Sohnes zu geben vermag und auch für seine eigenen keine hatte.