Bernhard Schlink

Der Vorleser


Der Roman "Der Vorleser" von Bernhard Schlink ist aus der Perspektive von Michael Berg geschrieben, der sich mit fünfzehn Jahren in Hanna Schmitz verliebt. Die wesentlich ältere und reifere Hanna (Altersunterschied von einundzwanzig Jahren) ist von Anfang an ein sehr undurchsichtiger Charakter, sie birgt viele Geheimnisse. Es kommt zu einer leidenschaftlichen Beziehung zwischen den beiden. Diese geheime Liebe wird durch das Ritual des Duschens, Vorlesens von Michael für Hanna, sowie von der gegenseitigen Abhängigkeit bestimmt. Doch die Beziehung endet mit einer abrupten Trennung - Hanna verläßt Michael und die Stadt. Erst Jahre später sieht er sie wieder: Michael wohnt als Jurastudent einer Gerichtsverhandlung bei, in der Hanna eine der Angeklagten in einem NS-Prozess ist. Zum ersten Mal entdeckt er ihr Geheimnis. Hanna hat im zweiten Weltkrieg als KZ-Aufseherin gearbeitet. Sie wird schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Nun wird Michaels Gewissenskonflikt und die Schuldfrage, mit einer KZ-Aufseherin eine Beziehung gehabt zu haben, in den Vordergrund gestellt. Eine weitere Spannungsfrage, die auftaucht, ist Hannas Analphabetismus, den sie über Jahre versuchte zu verbergen. Auch im Prozess tut sie alles, um ihre Schwäche nicht offenbaren zu müssen. So besteht der Kontakt der beiden während der Haft im Wesentlichen aus Kassetten, auf denen Michael ihr Bücher vorliest, bis er sie kurz vor ihrer Entlassung besucht...

Bernhard Schlink versucht in diesem Roman den Stoff des zweiten Weltkrieges aufzuarbeiten. Er beschäftigt sich mit der deutschen Vergangenheit und ihrer Verarbeitung und Bewältigung. Daß Bernhard Schlink Juraprofessor ist, zeigt sich in der Beschreibung des Gerichtsprozesses. Dadurch, daß das Buch in präziser Sprache und mit vielen, kurzen Kapiteln geschrieben ist, ist es sehr gut zu lesen. Der Leser kann sich gut in den Protagonisten hineinversetzen, weil die Geschichte aus seiner Perspektive erzählt wird.

Bernhard Schlink wurde 1944 in Berlin geboren und ist in Heidelberg aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte er Jura in Heidelberg und Berlin. Seit 1988 ist er Richter des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen. Schlink arbeitete als Professor in Bonn und Frankfurt, und ist seit 1992 Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als Autor veröffentlichte er zahlreiche Romane; u.a. "Die gordische Schleife" (1988), "Selbs Betrug" (1993) und "Der Vorleser" (1995).

Simone Franz